Ehrenamtliches Engagement in der Kinder- und Jugendarbeit: Muss sich etwas ändern?

Freiwilliges Engagement Jugendlicher im Wandel: Neue Anforderungen an die Jugendarbeit? 
Unter diesem Motto stand der Fachtag des Fachbereiches Kinder und Jugend im Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. 

Mitarbeitende aus dem Gemeindepädagogischen Dienst kamen am 26.04.2012 nach Darmstadt, um mehr darüber zu erfahren, wie sich Aktivität und Freiwilliges Engagement von Jugendlichen in den Freiwilligensurveys von 1999, 2004 und 2009 darstellt. 

Der Fachtag begann mit einem Tagesimpuls, einer Begrüßung und einer Vorstellung. Sibylle Picot, Soziologin, die sozialwissenschaftliche Projekte im Auftrag des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend durchführt, informierte über die umfragegestützte Dauerberichterstattung des Freiwilligenengagements in Deutschland in allen seinen Bereichen, Formen und Problemlagen. Ihr Fokus sind die 14-24jährigen Freiwilligen. Eine Sonderauswertung dazu wurde von der Bertelsmann-Stiftung finanziert.  Sie stellte kritische Fragen zum Engagement von Jugendlichen: „Passt Engagement weniger in das Wertegerüst einer pragmatischen Generation?“.

In wie weit haben sich die Lebenslagen Jugendlicher gewandelt und sind kontraproduktiv für ein Engagement? Dabei zu nennen sind die Verkürzung und Verdichtung in Schule und Studium, die Ganztagsschulen, die Zeitknappheit und der Zeitdruck, die z.B. durch G8 entstehen, die Situation der Jugendlichen mit niedrigen Abschlüssen sowie der Einfluss des Internets. Sie definierte Aktivität und Freiwilliges Engagement der Bevölkerung von 14 - 24 Jahren. Engagierte sind alle, die ein ehrenamtliches Engagement übernommen haben, Aktive sind aktiv ohne Engagement. Als die Ergebnisse des ersten Freiwilligensurvey von 1999 vorlagen, enthielten sie im Hinblick auf das Freiwillige Engagement Jugendlicher eine positive Nachricht. Jugendliche stellten sich als aktivste Altersgruppe heraus und sie hatten überdurchschnittlich oft Aufgaben im Sinne eines Freiwilligen Engagements übernommen. 2004 wurde der zweite Freiwilligensurvey durchgeführt, der einen minimalen Rückgang im Engagement Jugendlicher belegte. Gleichzeitig hatte zwischen 1999 und 2004 allerdings das Engagement in älteren Bevölkerungsgruppen starken Zuwachs erfahren. Insofern entsprach alles in allem gesehen das überdurchschnittliche Engagement Jugendlicher dem Durchschnitt in der Bevölkerung. Wie sich nun anhand der Daten des dritten Freiwilligensurveys 2009 zeigt, hat sich die Entwicklung fortgesetzt. Die Referentin konstatiert, dass erneut das Freiwillige Engagement der 14 – 24jährigen einen Prozentpunkt zurück und die Zahl der aktiven, aber nicht engagierten Jugendlichen leicht zunahm. Sie fächerte das Engagement und die Aktivität von freiwillig Engagierten nach 13 Altersgruppen auf. Die Tätigkeitsfelder in denen 2009 besonders viele Jugendliche engagiert sind, sind Sport und Bewegung, gefolgt von Kirche und Religion. Frau Picot erklärte, dass es eine hohe Bereitschaft zum Freiwilligen Engagement von Jugendlichen gibt. Immerhin 16 % sind bestimmt bereit ein freiwilliges Engagement zu übernehmen, 33 % sind eventuell bereit und nur 16 % der 14 – 24 Jährigen sind nicht bereit ein freiwilliges Engagement zu übernehmen. Jugendliche verwenden weniger Zeit für Freiwilliges Engagement in 2009, wenn man es vergleicht mit 1999, es gibt einen Rückgang im oberen Stundenbereich, besonders bei den 14 – 19 Jährigen. Und es gibt sehr viel seltener als früher ein Engagement von Jugendlichen für mehr als eine Tätigkeit. Die Soziologin erklärte, dass Jugendliche 1999 noch 20 Stunden pro Monat mit ihrer ersten, zeitaufwendigsten Freiwilligentätigkeit verbrachten, während es 2009 nur noch 17 Stunden war. Dies entspricht allerdings etwa der Stundenzahl im Monat von Engagierten insgesamt, mit 16 Stunden. Die Referentin sagte, dass besonders auffällig das Freiwillige Engagement von Schülerinnen und Schülern 2009 ist. Die meisten Engagierten mit 51 % besuchen ein Gymnasium, das weiterhin 9 Jahre bis zum Abitur besucht wird. Sibylle Picot teilte mit, dass das Engagement von Studierenden zwischen 20 und 24 Jahren von einem sehr hohen Niveau von 1999 bei 45 % auf ein Niveau in 2009 auf 40 % gesunken ist. Während ältere Studierende im Alter von 25 – 30 Jahren sich 1999 nur zu 36 % engagierten, mittlerweile aber zu 45 %. Die Referentin erklärte, dass, wenn man sich die Aktivität und Freiwilliges Engagement nach dem Bildungsstatus von Jugendlichen im Alter von 14 – 24 ansieht, deutlich wird, dass ein hoher Bildungsstatus eher zu einem Freiwilligen Engagement führt, nämlich mit 44 %, während ein niedriger Bildungsstatus 2009 zu einem Engagement von 19 % führte. Deutlich wird an den Zahlen, dass Jugendliche mit niedrigem Bildungsstatus von 1999 bis 2009 von 35 % auf 19 % gesunken sind. Der Migrationshintergrund scheint bei der Engagementbereitschaft bei Jugendlichen eine deutliche Rolle zu spielen, da freiwillig Engagierte ohne Migrationshintergrund sich 2009 zu 38 % engagierten, mit Migrationshintergrund waren es 22 %. Die Soziologin sagte, wenn Jugendliche ab 14 Jahren nach ihrem Engagementmotiv „beruflicher Nutzen“ gefragt werden, dann stimmen 14 – 19 jährige Mädchen zu 38 % zu. Bei 25 – 30 Jährigen sind es nur noch 14 % der Frauen, bei Männern sind es 13 %. Befragt danach, was denn kennzeichnend sei für die „pragmatische Generation“ sagte die Soziologin, dass Jugendliche heute sich konzentrieren auf die Bewältigung konkreter, praktischer Herausforderungen und Probleme: 

  • Sie haben ein hohes Leistungsdenken und eine große Anpassungsbereitschaft.
  • Sie sorgen sich vielfältig um den Platz in der Gesellschaft, dieser Platz ist wesentlich definiert über den Arbeitsplatz und über eine stabile Berufsperspektive.
  • Der Versuch der Jugendlichen, ihre Wertvorstellung auf pragmatische Weise „unter einen Hut“ zu bekommen ist eine „Wertesynthese“.

Die Wertigkeit des Freiwilligen Engagements ist bei Jugendlichen durch das Primat des Wunsches nach einer sicheren beruflichen Zukunftsperspektive bestimmt. Teile der jungen Generation sind im Engagement zu wenig vertreten, weil sie offenbar insgesamt zu den gesellschaftlichen Verliererinnen und Verlierern gehören. Damit kommen ihnen die Lern- und Qualifikationseffekte des Engagements nicht zugute. Soziale Integration dieser Jugendlichen ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Dies ist auch der Kontext von Engagementförderung. 

Die Verkürzung der Ausbildungszeit bei erhöhten Anforderungen erhöht den (Zeit) –Druck mit entsprechenden Auswirkungen auf das Engagement. Chancen der Entwicklung zur Ganztagsschule z.B. werden derzeit offenbar noch nicht ausreichend genutzt. Engagementförderung könnte stärker im schulischen Kontext ansetzen. 

Die Tendenz zu stärkerer Interessensorientierung bedeutet: Freiwilliges Engagement soll nützlich sein. Allerdings sollte Freiwilliges Engagement Raum bieten für Spiel und Kreativität. Das Gesellschaftliche Gestaltungspotenzial Jugendlicher sollte stärker zum Tragen kommen und unterstützt werden, gerade auch im Freiwilligen Engagement. 

Jugendliche sorgen sich um ihren Platz in der Gesellschaft und dieser definiert sich über den Arbeitsplatz, bzw. eine stabile Berufsperspektive und praktisch nicht über Freiwilliges Engagement. 
Es wäre schön, wenn sich das in wenigstens einigen Fällen ändern ließe. 

Die TeilnehmerInnen positionierten sich zu verschiedenen Fragestellen. Sie diskutierten eifrig untereinander und mit der Referentin. Mit ihren Kompetenzen im Bereich der Begleitung, Gewinnung und Qualifizierung von jugendlichen Ehrenamtlichen trugen sie wesentlich zum Erfolg des Fachtages bei.  Zum Ende gab es Literaturempfehlungen für das Freiwillige Engagement Jugendlicher und Fachliteratur zum Ehrenamt/Freiwilligen Engagement. Die TeilnehmerInnen verließen den Fachtag mit vielen neuen Anregungen und einem sehr ansprechenden Handout. 

Simone Reinisch, 26.04.2012