Fachtag: "Was ist Seelsorge mit Jugendlichen am 28. August 2017 in Darmstadt

Fachtag thematisiert Inhalte und rechtliche Rahmenbedingungen einer Seelsorge mit jungen Menschen


Zu einem Fachtag ausgehend von der Frage "Was ist Seelsorge mit Jugendlichen?" hatte der Fachbereich Kinder und Jugend im Zentrum Bildung der EKHN unter der Leitung von Stephan Da Re am 28.08.2017 nach Darmstadt eingeladen.

In ihrem Geistlichen Impuls zu Beginn der Veranstaltung, an der 21 Personen teilgenommen haben, betonte die Stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf, dass Seelsorge Begegnung sei. Ausgehend von Markus 10,46-52, der Erzählung von der Begegnung des blinden Bartimäus mit Jesus, thematisierte Scherf u.a. die Frage, wie Begegnungen gelingen könnten. Die Perikope zeige, dass Jesus aufmerksam sei für das, was gerade dran sei. Dies sei auch heute in der eigenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen enorm wichtig, insbesondere vor dem Hintergrund eines von vielen Terminen und Herausforderungen geprägten beruflichen Alltags. "Hinhören ist von ganz besonderer Bedeutung", so Scherf. Schon in der persönlichen Anrede "Rabbuni" bringe der blinde Bartimäus all seine Hoffnung zum Ausdruck. Jesus reagiere darauf, indem er ganz konkret frage: "Was willst du, das ich dir tun soll?" - eine bis heute in der Seelsorge wichtige Frage, die einerseits im Sinne einer Auftragsklärung zu verstehen sei, andererseits dem Gesprächspartner die Möglichkeit biete, sich zu öffnen, so wie es dann auch bei Bartimäus der Fall gewesen sei. So seien Offenheit und Interesse wichtige Bestandteile einer jeden Seelsorge. Am Ende ihrer Ausführungen motivierte Scherf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Ermutigung Gottes auch für sich zu hören und so auch Kraft für ihre wichtige Arbeit zu bekommen.

Im Anschluss referierte Matthias Günther über Inhalte und Anforderungsprofil einer Seelsorge mit jungen Menschen. Günther, der apl. Professor für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Leibniz-Universität Hannover sowie Schulpfarrer an einer Berufsbildenden Schule in Alfeld / Leine ist, warf zunächst einen Blick auf das Verhältnis von Jugend und Kirche unter Berücksichtigung empirischer Einblicke. Hier wurde deutlich, dass die Mehrheit der Jugendlichen kirchliches Handeln weder als glaubwürdig noch als relevant betrachte (KMU). Ein Austausch über den Sinn des eigenen Lebens erfolge am ehesten mit Freunden und Bekannten sowie Familienmitgliedern, nur selten jedoch mit kirchlichen Mitarbeiter*innen (18 %). Religiöse Sozialisation sei am ehesten von Mutter, Vater und Großeltern abhängig, weniger durch kirchliche Mitarbeiter*innen und den RU. Hingegen werde die Konfirmandenzeit überwiegend positiv bewertet (67 %). Allerdings seien nur 47 % der Konfirmand*innen der Meinung, dass das in der Konfirmandenzeit Gelernte etwas mit ihrem Leben zu tun habe. Weiter wies Günther darauf hin, dass die Zufriedenheit mit Gottesdiensten stark von Mitbestimmungsmöglichkeiten und jugendgemäßen Formen abhänge. "Was fehlt, ist ein jugendseelsorgliches Klima. Es mangelt an Wertschätzung und Partizipation", so Günther. Die Pluralisierung von Seelsorgekonzepten und eine damit verbundene Spezialisierung hätten dazu geführt, dass der Mensch aus dem Blick gerate. Das Ziel müsse eine dimensional verstandene Seelsorge sein, die kirchliches Handeln und das Leben der Menschen in den Blick nehme.

In einem zweiten Teil ging Günther auf Kennzeichen und Themen gegenwärtiger Jugendreligiosität ein und betonte zunächst, dass die klassische Entwicklungspsychologie die Phase des Jugendalters in der Regel mit negativen Zuschreibungen (z.B. Krise oder Destabilisierung) gekennzeichnet habe. Das Jugendalter sei jedoch keine Zeit der Krise, sondern eine Zeit des Wandels. Interessen und Bewertungen änderten sich, ebenso die sozialen Beziehungsverhältnisse. Auch der räumliche Aktionsradius werde größer. Dem Wandel unterliege zum einen das Person-Umweltverhältnis, zum anderen das Verhältnis der Person zu sich selber. Als Kennzeichen einer gegenwärtigen Jugendreligiosität diagnostizierte Günther die Individualisierung, Pluralisierung und Collagierung von Religion sowie deren punktueller Gebrauch (Kontingenzerfahrungen, biographische Brüche etc.). Damit einher gehe auch eine Privatisierung von Religion.
Hinsichtlich eines Anforderungsprofils einer Seelsorge mit jungen Menschen stellte Günther die ziel- und ressourcenorientierte Kooperation mit jungen Menschen, die Wertschätzung ihrer Person und ihres In-Gebrauch-Nehmens von Religion, eine Haltung geschärfter Wahrnehmung jugendlicher Lebenswelt sowie das unverzichtbare Hören, Suchen und Fragen in den Mittelpunkt. Es müsse zu einer Verbindung von gelebter und gelehrter Religion kommen. Auf den Punkt gebracht gehe es um Validation (Wertschätzung als Entlastung), Komplexitätsreduktion (Kommunikation ermöglichen oder vereinfachen) und Progression (Ressourcen wahrnehmen, Ressourcen bilden).

Eine Power Point Präsentation steht auf dieser Seite zum Download zur Verfügung.

Oberkirchenrätin Dr. Petra Knötzele, Leiterin des Referats Personalrecht in der Kirchenverwaltung der EKHN, führte sodann in die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Seelsorge mit jungen Menschen ein und stellte sich den Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. 
Zu Beginn ihres Vortrags referierte Knötzele die einschlägigen Regelungen, wie sie sich aus dem Kirchengesetz über den Gemeindepädagogischen Dienst (Gemeindepädagogengesetz - GpG) vom 09. Mai 2014 (https://kirchenrecht-ekhn.de/mobile/index.html#/document/dokument/html/18946), der Rechtsverordnung zur Ausführung des Kirchengesetzes über den gemeindepädagogischen Dienst (Gemeindepädagogenverordnung - GpVO) vom 09. Mai 2014 (https://kirchenrecht-ekhn.de/mobile/index.html#/document/dokument/html/18947), der Ordnung der evangelischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der EKHN (Kinder- und Jugendordnung - KJO) vom 15. Februar 2007 (https://kirchenrecht-ekhn.de/mobile/index.html#/document/dokument/html/18847) und dem Kirchengesetz zum Schutz des Seelsorgegeheimnisses (Seelsorgegeheimnisgesetz - SeelGG) vom 28. Oktober 2009 (https://kirchenrecht-ekhn.de/mobile/index.html#/document/dokument/html/23443) ergeben. Letzteres diene dem Schutz der in den Gliedkirchen durchgeführten Seelsorge und enthalte eine Definition von Seelsorge: Sie ist eine aus dem christlichen Glauben motivierte und in der Gegenwart Gottes erfolgte Zuwendung. Seelsorge gilt dem einzelnen (Zweierbeziehung) und unterliegt der Vertraulichkeit. Das Seelsorgegeheimnis ist unter allen Umständen zu wahren!

Knötzele wies anschließend darauf hin, dass Hauptberufliche in der ev. Kinder- und Jugendarbeit, die keine ordinierten Geistlichen sind, wie alle Mitarbeitende der Verschwiegenheitspflicht nach 5 KDO unterliegen. Das Seelsorgegeheimnis und das Zeugnisverweigerungsrecht gelten allerdings nur für Pfarrerinnen und Pfarrer (Ausnahme: Gemeindepädagog*innen, die eine Beauftragung zur Seelsorge im Altenheim oder Krankenhaus oder einen sonstigen Seelsorge-Auftrag haben). Eine Beauftragung von hauptberuflichen Mitarbeiter*innen in der ev. Kinder- und Jugendarbeit zur Seelsorge durch den Anstellungsträger (Dekanat) sei möglich, jedoch an Voraussetzungen geknüpft, wie eine dem Auftrag entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildung, die persönliche und fachliche Eignung, sowie dem Bedarf im Arbeitsfeld. Ohne einen solchen Seelsorge-Auftrag sollte in Gesprächen mit entsprechendem Charakter rechtzeitig darauf hingewiesen werden, dass der Inhalt des Gesprächs nicht in jedem Fall der Vertraulichkeit unterliegen kann (etwa im Blick auf staatliche Organe). 

Nach dem gemeinsamen Mittagessen bestand die Gelegenheit, in Workshops manches zu vertiefen bzw. konkrete Arbeitsaufträge zu formulieren.
Im Blick auf mögliche Fort- und Weiterbildungsformate wurden u.a. folgende Themen genannt:

  • Menschen mit psychischen Problemen / Erkennen und Einordnung von Symptomen und Krankheitsbildern
  • Methodik des Umgangs mit Krankheitsbildern und Handwerkszeug
  • Eigene Grenzen erkennen
  • Überprüfung von Studiengängen auf Inhalte zur Seelsorge mit jungen Menschen (z.B. Masterstudiengang Religionspädagogik) / Praxisrelevante Themen
  • Sterben, Tod und Trauer / Autoaggression
  • Migration und Flüchtlinge (Fragen von Jugendlichen und Umgang mit Traumata) 
  • Ehrenamtliche in der Seelsorge mit jungen Menschen
  • Internetseelsorge (WhatsApp und Mail)
  • Theologisches Aufbauprogramm für hauptberufliche Mitarbeiter*innen im GPD


Im Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden u.a. folgende Punkte thematisiert:

  • Kindeswohl und Seelsorgegeheimnis
  • Auftragsklärung / Empfängerhorizont
  • Seelsorge in / mit Gruppen und Verschwiegenheit
  • Supervision und Unterstützungssysteme
  • Definition Seelsorge

Es wurde vereinbart, dass ein Rundschreiben an alle Dekanate hinsichtlich einer möglichen Seelsorge-Beauftragung von hauptberuflichen Mitarbeiter*innen im Gemeindepädagogischen Dienst sowie eine Mustervorlage vorbereitet werden sollen. Stephan Da Re erarbeitet zeitnah einen ersten Entwurf.

Mit einem Feedback aus dem Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und dem Reisesegen endete die Veranstaltung.

Download PPT "Was ist Seelsorge mit jungen Menschen" (2 MB)